Eine Erklärung der Zauberei

Zauberei ist ein Bewusstseinszustand. Zauberei ist die Fähigkeit, etwas wahrzunehmen, was die gewöhnliche Wahrnehmung nicht wahrzunehmen vermag.
Alles, was ich dich lehrte«, fuhr Don Juan fort, »jede Einzelheit, die ich dir zeigte, war nur ein Hilfsmittel, um dir zu demonstrieren, dass uns mehr Möglichkeiten offenstehen, als wir glauben. Wir brauchen keine Lehrer der Zauberei, denn eigentlich gibt es da nichts zu lernen. Was wir brauchen, ist ein Lehrer, der uns überzeugt, dass uns unendliche Kräfte zu Gebote stehen. Welch ein sonderbares Paradoxon! Alle Krieger auf dem Pfad des Wissens glauben irgendwann, sie erlernten die Zauberei. In Wirklichkeit aber lassen sie sich nur überzeugen, welche Kraft in ihnen selbst steckt und wie sie diese erreichen können.«
Carlos Castaneda

Ein Versuch das Bewusstsein nach den Ideen von Carlos Castaneda zu beschreiben.

Vorab
Mit dieser Beschreibung einer ‚Weltformel‘ befinde ich mich im Wesentlichen in der Begrifflichkeit und dem Narrativ von Castaneda.
Vor 15 Jahren habe ich in meinem privaten Umfeld weitgehend aufgehört mich der Begriffe Castanedas zu bedienen und habe versucht, die geistigen Inhalte mit unseren westlichen/deutschen Begriffen zu transportieren, wenn ich das ad hoc in einem Gespräch notwendig oder hilfreich fand.
Das ging auch bis zu einer gewissen Grad, allerdings konnte ich das in der kompletten oder systematischen Ganzheit nicht verwirklichen.

In dieser Zusammenfassung geht es mir nicht darum zu diskutieren, was von Castanedas Ansichten wahr oder unwahr ist.
Es wird also nachfolgend bewusst keine kritische Distanz eingenommen.
Es empfiehlt sich die Aussagen als geistige Bilder zu verstehen und sie nicht in ein materielles bzw. räumliches Gebilde oder einen zeitlichen Ablauf zu stellen.

Die Neuen Seher
Die Neuen Seher verstehen sich in einer alten Tradition von Wissenden oder Bewusstseinsnavigatoren in Mexiko, die ein einzigartiges Wissenssystem gesucht, weiterentwickelt und weitergegeben haben.
Die Neuen Seher können beispielsweise den Menschen und alle Lebewesen nicht nur körperlich sehen, sondern sie auch als sogenannte ‚leuchtende Wesen‘ in ihrer Energie- oder Wahrnehmungsrealität wahrnehmen.

Emanationen
Das in seiner Umfänglichkeit und Wesenheit nicht erkennbare Alles-Umfassende (Universum, An-Sich…) wird als ‚Nagual‘ [sprich: nawahl] bezeichnet.
Das Nagual besteht aus einer unendlichen Anzahl von ‚Emanationen‘ (von lat: ausfließen, hervorgehen), die wie aus einer nicht erkennbaren oder erfahrbaren Urquelle ins Unendliche ausstrahlen, wobei ‚die Urquelle‘, ‚das Unendliche‘ und ‚ausstrahlen‘ Begriffe sind, die ihren Realitätsgehalt aus der vierdimensionalen Raum-Zeit-Vorstellung beziehen nicht die Wahrheit beschreiben, sondern eigentlich nur grob andeuten.
Diese Urquelle wird von den Neuen Sehern aufgrund ihrer Erhabenheit symbolisch als ‚Der Adler‘ bezeichnet, hat aber nichts mit einem Adler gemein.
Jede Emanation könnte man als eine Art wahrnehmbare ‚leuchtende‘ oder bewusste Faser oder Bewusstseinsfaser beschreiben.
Ein Lebewesen (Tier, Pflanze, Nicht-organisches Wesen…) ist ein abgeschlossenes Agglomerat, eine Art ‚Gefäß‘ für eine endloses aber ausgewähltes Spektrum solcher Emanationen.
Dieses Gefäß ist im Fall des Menschen als eine Art leuchtendes Ei von der Körpergröße einer Person wahrnehmbar.
Das führt zum Begriff der ‚leuchtenden Wesen‘.
Es gibt auch wiederum unendlich Emanationen, die nicht im Gefäß der Lebewesen vorhanden sind.

Bewusstheit
Bewusstheit entsteht, wenn innerhalb des Gefäßes eine kleine Auswahl der vorhandenen Emanationen gebündelt wird.
Diese Bündelung geschieht ohne eigenes Zutun mit Hilfe eines ‚Montagepunkts‘, der an einer Stelle im Gefäß die Emanationen bündelt – heute würde man sagen: aktiviert.
Wahrnehmung findet statt, weil die durch den Montagepunkt gebündelten Emanationen ihr Licht innerhalb und außerhalb des leuchtenden Wesens (leuchtendes Ei) aktivieren.

Jedes Lebewesen einer Art hat einen Montagepunkt, der die Emanationen arttypisch bündeln muss – vielleicht könnte man auch sagen: …das Lebewesen zu einer arttypischen Wahrnehmung zwingt.
Jedes Individuum einer Art bündelt die Emanationen also in einer arttypischen und grob vergleichbaren Weise und fixiert seinen Montagepunkt innerhalb dieses arttypischen Spektrums von Emanationen in einer persönlichen Montagepunktposition.
Dies bedeutet, dass bei allen Lebewesen einer Art ein Großteil derselben Emanationen gebündelt wird, so dass sie auf dieser Grundlage auch kommunizieren können.

Ein Lebewesen kann nicht nicht-bündeln.

Bei neugeborenen Kindern gibt es noch keine spezifisch fixierte Stelle des Montagepunkts.
Er mäandert sozusagen unkoordiniert durch alle möglichen Montagepunktpositionen.
Im Lauf der Zeit wird durch den anhaltenden Druck der Sozialisation und durch den dabei gelernten inneren Dialog der Montagepunkt an eine individuelle aber eben arttypische Stelle gerückt.

Auch während eines Traums löst sich der Montagepunkt aus seiner Fixierung, bewegt sich ungezielt umher und bündelt graduell oder total andere Wahrnehmungen bzw. möglicherweise andere Welten.

Alle Lebewesen sind wahrnehmende Wesen – vielleicht kann man sagen: Bewusstheit ist Wahrnehmung.

Beim Sterben verliert der Montagepunkt seine bündelnde Kraft, ohne die Emanationen selbst aufzulösen.

Der innere Dialog
Der langsam im Lauf der Sozialisation erlernte innere Dialog ist das Instrument, mit dem wir die chaotischen Wahrnehmungen ordnen, Vorstellungen entwickeln und die Begriffe der menschlichen Sprachen verinnerlichen.
Je mehr uns das gelingt, umso mehr entwickeln wir eine Kontinuität in der Wahrnehmung, halten somit den Montagepunkt fixiert und erleben unsere Welt als fest und existent.
Es existiert nur noch das, was wir begrifflich einordnen können oder was wir aus den Emanationen zu bündeln gelernt haben.
Durch den anhaltenden inneren Dialog verfestigt sich also das Weltbild des Menschen, bis es nahezu unveränderbar ist.
Das ist eine enorme Leistung, die nur dem sprechenden bzw. denkenden Menschen zufällt.

Tonal und Nagual
Das ‚Tonal‘ [sprich: tonahl] ist der den Menschen bekannte Teil der wahrnehmbaren Welt.
Alles, was benannt werden kann, ist Teil des Tonals (physische Objekte, geistige Objekte, materielle Dinge, Menschen, Gott, Teufel, das Gute, das Ego …).
Das Tonal ist wie eine strukturierte Insel innerhalb der unendlichen Unverständlichkeit des ‚Naguals‘.
Das Tonal ist die Ordnung innerhalb des Naguals, die die Menschen selbst durch ihre Montagepunktposition und ihre durch diese Montagepunktposition bestimmte Art der Wahrnehmung ‚geschaffen‘ haben.
Die Menschen haben sich sozusagen auf eine bestimmte Interpretation und damit Wahrnehmung von kleinen Teilen des ohne sein Zutun ‚ungeordneten‘ Naguals geeinigt.
Somit ist der Mensch selbst Ursache und Schöpfer des Tonals.
Ohne Tonal gibt es keine Wahrnehmung irgendeiner Ordnung im Universum (Beispiel: das neugeborene Kind).
Das Tonal ist das Raum-Zeit-Kontinuum zusammen mit der Gesamtheit der Begriffe.
Das Tonal ist ‚3D‘, erweitert um die Dimension der Zeit.

Das Nagual kann nun in drei Bereiche eingeteilt werden: Das Bekannte (Tonal), das Erkennbare (theoretisch zugänglich durch eine andere Montagepunktposition) und das Unerkennbare (Emanationen, die vom Menschen nicht gebündelt werden können, weil außerhalb seines Gefäßes).

Es gibt ein ‚Tonal der Zeit‘ (entspricht ungefähr dem Zeitgeist einer Kultur), dem jeweils eine große Gruppe von Menschen unterliegt.
Unterschiedliche Kulturen haben unterschiedliche Tonale der Zeit.
Die Sozialisation erfolgt aus dem Tonal der Zeit durch Platzanweiser (Eltern, Lehrer…) und zwingt das Kind in das entsprechende Tonal der Zeit.
Innerhalb des Tonals der Zeit gibt es viele persönliche, individuell präzisierte Tonale.
Jedes Tonal der Zeit verändert sich dauernd und hat sich im Lauf der Menschheitsentwicklung auch grundlegend verändert.

Begonnen hat die Menschheit in der Montagepunktposition des ‚Stillen Wissens‘ – alles wurde unmittelbar wahrgenommen und verstanden (d. h. geistig verortet), ohne es weiter beschreiben oder ausdrücken zu können.
Tiere verstehen ihre Welt ohne die von ihnen wahrgenommenen Phänomene in einem Tonal einordnen zu müssen.
Durch die Erfindung der Sprache mit ihrer Begrifflichkeit wurden sehr viele geistige Phänomene ‚geordnet‘ und erklärt.
Wir Menschen meinen, dadurch, dass wir Relationen von Dingen darstellen, diese zu verstehen.
Das ist allerdings im Grunde nicht möglich, weil wir bei der Definition von jeglichem Begriff sehr schnell feststellen, dass dahinter eine nicht mehr definierbare Unendlichkeit ist.
Insofern ist das Tonal eine Insel im Nagual – unsere Insel, auf der wir uns einrichten und auskennen.

Die Menschheit ist mittlerweile vorwiegend in der Montagepunktposition der ‚Vernunft‘ angekommen.
Aus der Montagepunktposition des ‚Stillen Wissens‘ war die Montagepunktposition ‚Vernunft‘ ein besonderes, attraktives und anzustrebendes Ziel, was schließlich auch gemeinsam erreicht wurde. Je näher man an der Montagepunktposition ‚Vernunft‘ ist, wird das Leben vorhersagbarer aber auch langweiliger – plötzlich werden das ‚Stille Wissen‘ und nichtrationale Zusammenhänge wieder attraktiv.
Man kann sagen, dass dies im Prinzip unsere heutige Grundsituation ist, wenngleich noch nicht mehrheitlich.

Noch im 19. oder 20. Jahrhundert war die Position der Vernunft dominierend attraktiv.
Mittlerweile hat die Rationalität deutlich an Attraktivität verloren und man sehnt sich nach ‚Stillem Wissen‘ (Spiritualität, Esoterik, Intuition…).

Montagepunkt und Implikationen
Der Mensch ist an sich nicht gezwungen innerhalb seiner Möglichkeiten eine ganz bestimmte Montagepunktposition einzunehmen.
Er ist nur gezwungen mit Hilfe des Montagepunkts überhaupt eine Position einzunehmen (er kann nicht nicht-bündeln).
Das bewusste Verändern oder Bewegen des Montagepunktes bezeichnet Castaneda als ‚Zauberei‘.
Wir alle sind magische Wesen, allein schon durch die Tatsache, dass wir in dem uns umgebenden Chaos des Naguals eine Ordnung, eine gemeinsame Welt ‚erschaffen‘.
Auch das nicht zu verstehende Bündeln durch den Montagepunkt und die vielfältigen Möglichkeiten der Position sind magische und nicht erklärbare Handlungen.

Zauberer
Nur sehr wenige Menschen können den Montagepunkt bewusst verschieben und an anderer Stelle fixieren.
Diese bezeichnet Castaneda als die Neuen Seher oder die Neuen Zauberer.
Eine Verschiebung führt zu einer Aktivierung von nicht durch die Sozialisierung gebündelten Emanationen und wird wegen der entstehenden neuen Wahrnehmung ‚Sehen‘ genannt (daher: Neue Seher).
Um Seher oder Zauberer zu werden ist es daher wichtig, dass man lernt, mindestens eine zweite Montagepunktposition willentlich zu suchen und zu fixieren.
Ist dies geschafft, hat man, aufgrund der persönlichen Erfahrung und einem ersten echten Wissens um die Realität eines Montagepunkts, einen idealen Ausgangspunkt, um laufend weitere Montagepunktpositionen kennenzulernen und zu fixieren.
Die Fähigkeit für das willentliche Verschieben des Montagepunkts nennt Castaneda die ‚Kunst des Träumens‘ und die des Fixierens der neuen Montagepunktposition die ‚Kunst des Pirschens‘.

Das Ego ist ebenfalls Teil der durch die konkrete Montagepunktposition entstandenen Selbstwahrnehmung.
Es ist demnach eine Eigenschaft bzw. ein Ergebnis dieser Montagepunktposition.
Mit der Fixierung des Montagepunkts in einer neuen Position wird auch eine neue Selbstwahrnehmung inkl. neuem Ego realisiert.
Es gibt also in den meisten Montagepunktpositionen keine Nichtidentifikation, sondern nur jeweils Neuidentifikationen.
Mit dem Akt der Zauberei (= Einnehmen einer neuen Montagepunktposition) wird also auch das echte Wesen des Egos und der Identifikation als pure Montage und nicht als persönliche Eigenschaft erkannt.

Es sind zudem verschiedene Welten montierbar.
Eine montierbare Welt ist unsere Welt.
Große Verschiebungen des Montagepunktes führen zur Montage von komplett neuen Welten.
Stimmungsschwankungen oder räumliche Veränderungen sind beispielsweise sehr kleine Montagepunktverschiebungen, d. h. es werden nur bestimmte leuchtende Fasern zusätzlich aktiviert oder deaktiviert. Die sonstige Ordnung bleibt im Großen und Ganzen erhalten (z. B. das Tonal der Zeit).

Erinnerungen und Gefühle sind in den jeweilig erlebten Montagepunktpositionen – also im Zusammenbündeln von bestimmten Emanationen – und nicht im Gehirn gespeichert.
Um sich gut zu erinnern oder Situationen nachzufühlen, muss man gewisse bei der ursprünglichen Erfahrungssituation gebündelten Emanationen erneut bündeln.

Absicht und Wille
Die alles-beherrschende Kraft im Universum und Ursache von Wahrnehmung und Verschiebung des Montagepunkts ist die sogenannte ‚Absicht‘.
Die Absicht ist die eigentliche Kraft, ein Verlangen mit einer Ausrichtung, die in jedem lebendigen, also sich verändernden, Aspekt sichtbar wird.
Es ist auch nicht so, als würde uns etwas bewusst, weil wir es wahrnehmen, sondern wir nehmen wahr, weil die Absicht mittels des Montagepunkts eingreift und uns unerbittlich dazu zwingt (Absicht = Befehl des Adlers).
So ‚zwingt‘ uns die Absicht in die von uns montierte Welt und sie zwingt uns laufend zur repetitiven Wiederholung unserer ansozialisierten Montagepunktposition.

Eine neue Montagepunktposition kann also nicht so ohne weiteres realisiert werden.
Da unsere persönlichen Wünsche, Verlangen oder Vorhaben diffus in alle Richtungen gehen – mal hierhin, mal dorthin – haben sie wenig Chance auf Realisierung – wir bleiben nach kurzen Ausflügen in sehnsüchtige Visionen in der ansozialisierten Montagepunktposition hängen (dies erklärt z. B. der repetitive Rückfall in unsere psychologischen Dramen).

Wenn wir unsere diffusen Absichten so klären, dass eine zu einem neuen Befehl des Adlers wird, werden wir die angestrebte neue Montagepunktposition erreichen.
Dabei gibt es keinen karmischen Zwang oder keine moralisch bessere Position (Denn: Moral ist eine Eigenschaft bzw. ein Ergebnis bestimmter Montagepunktpositionen).
So kann jede mögliche Position – auch die von Massenmördern oder Zynikern – zu einem Befehl des Adlers werden, wird also realisiert (was man offensichtlich sehen kann).

Alles, was sich jeweils realisiert, war/ist Absicht.
Alles, was sich nicht realisiert, war/bleibt Idee, Wunsch, Sehnsucht…
In diesem Weltbild macht es also keinen Sinn in sich hineinzuhören, was man ‚eigentlich will‘.
Ich kann nur wollen, was ich will.
Und alles, was sich faktisch realisiert, wollte ich.

Ein Krieger, so sagte er, müsse die Absicht beschwören. Das Geheimnis sei der Blick. Die Augen rufen die Absicht herbei.

Diese beginne, wie er sagte, mit irgendeiner ersten Tat, die einfach durch die Tatsache, dass sie durchgehalten werde, eine unbeugsame Absicht erzeuge. Unbeugsame Absicht führte zu innerem Schweigen, und inneres Schweigen führte zu innerer Stärke, die notwendig sei, um den Montagepunkt […] an die geeigneten Positionen wandern zu lassen.

Immer wieder ermahnte er uns, dass die Manipulation der Absicht mit einem selbsterteilten Befehl beginne; dann werde der Befehl wiederholt, bis er zum Befehl des Adlers werde, und dann erst, in dem Augenblick, da der Krieger das innere Schweigen erreiche, verschiebe sich der Montagepunkt.

Die Neuen Seher oder Zauberer streben zudem danach, einen Zustand absoluter Bewusstheit zu erreichen, um alle Möglichkeiten der Wahrnehmung zu erfahren, die uns Menschen offenstehen.
Zu diesem Bewusstseinszustand gehört auch eine andere Art zu sterben.

Im Universum, so erklärte Don Juan, gibt es eine unermessliche und unbeschreibliche Kraft, welche die Zauberer als Absicht bezeichnen. Und alles im Kosmos Existierende ist durch ein Bindeglied mit der Absicht verknüpft. Die Zauberer – oder Krieger, wie er sie nannte – seien stets bemüht, dieses Bindeglied zu klären, zu verstehen und zu nutzen.

Vor allem seien sie bemüht, dieses Bindeglied von den lähmenden Folgen zu läutern, wie die gewöhnlichen Sorgen des Alltags sie bedingen. In diesem Sinn könne man Zauberei definieren als einen Prozess der Läuterung unseres Bindeglieds zur Absicht. Dieser ‚Läuterungsprozess‘, betonte Don Juan, sei schwer zu verstehen und noch schwerer durchzuführen. Darum unterteilten die Zauberer ihre Lehren in zwei Kategorien: erstens, die Unterweisung für die alltäglichen Bewusstseinszustände, in denen der Läuterungsprozess nur in getarnter Form sichtbar werde; zweitens, die Unterweisung für Zustände gesteigerter Bewusstheit, wie ich momentan einen erlebte. In solchen Zuständen erlangten die Zauberer ihr Wissen direkt von der Absicht – ohne die ablenkende Vermittlung gesprochener Worte.

Aufgrund Jahrtausende langer Erfahrung mit dem gesteigerten Bewusstsein, so erklärte mir Don Juan, hätten die Zauberer gewisse Erkenntnisse über die Absicht gewonnen. Diese Schätze direkten Wissens gaben sie weiter – von Generation zu Generation, bis zum heutigen Tag. Das Werk der Zauberei bestünde darin, sagte er, dieses offenbar unbegreifliche Wissen zu übernehmen und es für unser alltägliches Bewusstsein verständlich zu machen.

Nachbetrachtungen

Ego
Bei dieser Abhandlung geht es nur um das Bewusstseinsmodell nach Castaneda.
Alles was wir sind, wahrnehmen und glauben ist nach diesem Bewusstseinsmodell durch die Montagepunktposition bestimmt.
Alles.
Auch jegliche subjektiv empfundene Identifikation, wie auch das Ego.

Durch die Erfahrung(!) weiterer Montagepunktpositionen stellt man dies fest. Der Zauberlehrling lernt eine zweite Montagepunktposition willentlich zu erreichen.
Aus dieser Erfahrung heraus weiß er, dass ein Ego auch in einer zweiten Identifikation mit anderen Vorstellungen (Selbstbildern) existiert.
Dadurch weiß er, dass das erste, das zweite und alle weiteren Egos nur Montagepunkte sind und werden somit für ihn(!) relativ.

Andererseits haben wir nach Castaneda keinen anderen Aktivposten als einen Montagepunkt mit Tonal (mit all seinen Implikationen) und dieser ist extrem wertvoll.
Deshalb wurde Castaneda auch zigfach mit kaltem Wasser überschüttet und bekam zigmal den Befehl zu schreiben, wenn ihm sein Leben lieb wäre.

Übrigens: Nicht das Ego definiert die Beschränktheit.
Jede Montagepunkt-Position ist eine Beschränkung der eigenen Wahrnehmung, da Wahrnehmung = Auswahl und Bündelung der Emanationen ist.
Das totale Bewusstsein bzw. die unbeschränkte Wahrnehmung ist das sogenannte ‚Feuer von Innen‘, wo alle Emanationen gleichzeitig montiert/aktiviert werden.
Damit verlässt man dann aber diese Welt (das Tonal) für immer.

Wenn man nicht zwischen zwei entfernten MP-Positionen wechseln kann, kann man wenigstens versuchen zu verstehen, dass ein leicht verschobener MP genau dasselbe bietet: Ein Verständnis für das Wesen des Montagepunkts und seiner mächtigen Implikationen.

Blockierungen
Für mich ist Castaneda bzw. sein Don Juan in seinem Denken deutlich präziser als viele moderne Esoteriker.
Er versucht gar nicht eine „Blockierung der Energie, die durch Identifikation entsteht“ zu vermeiden.

Im Gegenteil, genau das nennt er Energieverschwendung – nämlich seine Montagepunktposition inkl. Ego nicht als das zu akzeptieren, was sie sind: Elemente der Insel des Tonals die nur ihren richtigen Platz (ich würde sagen Wert) brauchen.

Nicht durch Identifikation wird Energie blockiert, sondern durch einen relativ fixen Montagepunkt wird eine andere Wahrnehmung verhindert.
Man kann dies als eine Art Blockade empfinden.
Es ist aber dann nach Castaneda schlicht kein neuer Wille formuliert, was die Absicht eben zwingt die alte Wahrnehmung zu repetieren.

Ins Bewusstseinsmodell von Castaneda übertragen würde ich dieses ‚Energie blockieren‘ so formulieren: Es gibt keinen echten Impuls für eine sich neu verwirklichende Absicht.
Wie ein solcher kommt und auch weshalb er meist verhindert wird, habe ich in meinem obigen Text gegen Ende beschrieben.

Genau genommen geht es immer um die ‚Absicht‘, bzw. für uns subjektiv um unseren sich verwirklichenden Willen.
Ich finde gerade in meinem letzten Abschnitt zur ‚Absicht‘ liegt ein großes Geheimnis, was nicht leicht zu verstehen ist: Es verwirklicht sich IMMER DIE ABSICHT.
Es geht gar nicht anders.
Nach Nietzsche gibt es eben nur starken oder schwachen Willen.
Der starke Wille ist der ausgerichtete Wille, der schwache Wille ist der diffuse und widersprüchliche Wille.
Und: Man kann nicht Nicht-Wollen.


Autor: Theodor Neumaier, MonteBasso in Eggiwil (Schweiz)
Stand: 13. Juli 2018

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